Positionspapier

Kita-Regelbetrieb jetzt: Bedingungen und Maßnahmen

Stand: 08.06.2020

Infektionsgeschehen vor Ort ist entscheidend

Wie wir mit unserem Papier „Die Kindheit ist kurz“ gezeigt haben, machen wir uns nicht darüber Gedanken, ob oder welche ausgewählten Kinder wieder in die Kitas, Horte und Tagespflegestellen zurückkommen sollten, sondern darum, wie wir es jetzt allen Kindern ermöglichen können, wieder an diesem für sie so wichtigen Ort sein zu können und wie wir gegebenenfalls auf eine rückkehrende Infektionswelle reagieren können.
Auf körperliche Nähe, Emotionalität, sinnliche Erfahrungsmöglichkeiten, Gestik, Mimik, nonverbale und visuelle Kommunikation sowie Bewegung und Spiel zu verzichten und eine künstliche Distanz zu schaffen, ist in Kitas keine Option. Das Tragen von Gesichtsmasken oder das Einhalten des Mindestabstands schließen sich also weitgehend aus. Wie kann die Rückkehr zum Regelbetrieb trotzdem gelingen?
Was bislang fehlt, sind klare Kriterien für den Kita-Regelbetrieb, die das lokale Corona-Infektionsgeschehen berücksichtigen. Momentan ist nicht nachvollziehbar, welches Bundesland aufgrund welcher Kriterien den Zugang zu den Kitas erweitert oder beschränkt. Um den Grad der Kita-Öffnung zu bestimmen, sollte die Anzahl der Neuerkrankungen des Einzugsgebiets betrachtet werden. Die Obergrenze der Landkreise und kreisfreien Städte bei den Neuinfektionen binnen sieben Tagen sollte hier die Richtschnur sein.
Gibt es vor Ort keine oder nur eine sehr geringe Zahl an Neuerkrankungen, ist es nicht angemessen dauerhaft Kinder von der Betreuung auszuschließen und eine maximale Sicherheitsvariante anzuwenden. Die Kinderrechte dürfen in diesem Fall nicht weiter beschnitten werden. Die Bedürfnisse aller Kinder müssen Mittelpunkt der Betrachtung sein und nicht eine etwaige Systemrelevanz einzelner Eltern. Wir freuen uns deshalb, dass die Kitas wieder öffnen.
Für den weiteren Betrieb schlagen wir deshalb einen Stufenplan vor, der entsprechend dieser Fallzahlen im Einzugsbereich greift und das System der Notbetreuung endgültig beendet. Das heißt: Bei keinen oder sehr wenigen Neuinfektionen im regionalen Umfeld reicht die „Zugangsberechtigung“ (siehe unten) als Sicherheitsmaßnahme aus. Steigt die Zahl der Neuinfektionen, werden die Maßnahmen erhöht. Das ist für die Kita-Träger planbar.

Infektionsschutz-Maßnahmen

Nach momentanem Erkenntnisstand übertragen überwiegend Erwachsene das Corona-Virus untereinander oder auf Kinder. Eine Ansteckung von Kind zu Kind findet eher nicht statt. Deshalb ist es wichtig, Schutzbestimmungen vorrangig auf Erwachsene anzuwenden, also auch auf die Mitarbeiter*innen in den Kitas. Wir empfehlen deshalb bis auf weiteres, dass maximal drei Erwachsene gleichzeitig in einem Kita-Raum sein dürfen und das Abstandsgebot zwischen ihnen einzuhalten ist. Eltern müssen während ihrer Anwesenheit in der Kita einen Mundschutz tragen. Wir bitten unsere Mitarbeiter*innen und Eltern darüber hinaus sich auch außerhalb der Kita an die allgemeinen Hygieneregelungen zu halten: Ihre mögliche Erkrankung hätte Auswirkungen auf den gesamten Kita-Betrieb!
Darüber hinaus sollen der genaue Zeitraum des Besuches und die Dauer der Anwesenheit der Erziehungsberechtigten in der Einrichtung festgehalten werden. Dies ermöglicht im schlimmsten Falle ein genaues Nachvollziehen der erfolgten Kontakte.
Die Politik muss dafür sorgen, dass Testkapazitäten gezielt im Kita-Umfeld zum Einsatz kommen. Die Testverfahren sollten zeitnah und zahlreich zur Verfügung stehen. Der Testung von Kita-Mitarbeiter*innen sollte derselbe Stellenwert zugeschrieben werden wie der Testung von Mitarbeiter*innen in Pflegeheimen und im Krankenhaus, da Erzieher*innen selbst systemrelevant sind. Wir freuen uns, dass nun aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen an Universitätskliniken in Baden-Württemberg eine solidere Datenbasis aufgebaut wird. Darüber hinaus ist eine wissenschaftliche Begleit-Evaluation an einzelnen Modell-Kitas sinnvoll.
Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Dauer der Corona-Pandemie ist es – wie gesagt – entscheidend, die Arbeit in den Kitas im Sinne eines eingeschränkten Regelbetriebs an den jeweiligen Status der Neuerkrankungen im Umfeld zu konzentrieren. Zur Umsetzung des Stufenplanes sollten die Kita-Träger auch im laufenden Prozess den direkten Austausch mit den Gesundheitsämtern pflegen, insbesondere um einen aktuellen und gesicherten Stand über die Zahl der regionalen Corona-Neuinfektionen und deren Risikoeinschätzung zu erhalten.

Stufenplan

Um das Risiko einer Ansteckungsgefahr in der Kita möglichst gering zu halten, ist die wichtigste Maßnahme, sicherzustellen, dass die Kinder und Mitarbeiter*innen nicht unter einem Corona-Infekt leiden. Ganz besonderen Wert legen die sozialunternehmerischen Kita-Träger deshalb – über die gesamte Corona-Zeit hinweg – auf eine möglichst sichere und überprüfbare Zugangsberechtigung sowie die konsequente und sofortige Abholung von Kindern, die für die Mitarbeiter*innen einen nicht gesunden Eindruck machen. Die vorgeschlagenen Stufen sehen wie folgt aus:

Stufe 1: Zugangsberechtigung – bei Unterschreitung der Obergrenze

Da die Unterscheidung zu anderen grippe- und grippeähnlichen Erkrankungen nur schwer zu treffen ist und die Corona-Testverfahren nicht kurzfristig und in jedem Falle zu erhalten sind, befürworten wir folgendes Verfahren:
Wenn ein Kind am Regelbetrieb teilnehmen möchte, wird von seinen Erziehungsberechtigten die Bestätigung erwartet, dass seit mindestens 48 Stunden keines der Mitglieder im Haushalt des Kindes oder das Kind selbst
  • über 37,5 Grad Körpertemperatur hat (gemessen an Ohr oder Stirn),
  • an Geruchssinn- oder Geschmackssinnverlust leidet,
  • unter Husten oder Atemnot leidet,
  • in den letzten 14 Tagen keinen Kontakt mit einem Corona positiv getesteten und infektiösen Menschen hatte (außer medizinisches Personal).
Wir erwarten außerdem die schriftliche Zusicherung, dass sobald eines dieser Symptome auftritt, die Eltern die Kita informieren und ihr Kind abmelden bis alle Haushaltsmitglieder wieder mindestens 48 Stunden symptomfrei sind oder vor mindestens 14 Tagen den letzten Kontakt mit einem Corona positiv getesteten und infektiösen Menschen hatten. Bei Nichteinhalten dieser Regelung sollten die Kinder konsequent vom weiteren Besuch der Kita ausgeschlossen werden.
Die Kinder können sich ansonsten im Haus begegnen, miteinander spielen und auch die Erzieher*innen können alle Kinder betreuen.

Stufe 2: Kohorten-Modell – bei Erreichen der Obergrenze

Der eingeschränkte Regelbetrieb setzt auf die Bildung von Gruppen von fünf bis maximal zehn alters- bzw. entwicklungsähnlichen Kindern, die zusammen mit jeweils zwei pädagogischen Betreuungspersonen eine Kohorte bilden, die von den anderen Kohorten im Haus möglichst räumlich getrennt sind. Jede Kohorte schafft sich je nach Situation vor Ort in ihrem ausreichend großen Bereich (möglichst doppelt so viel Raum für dieselbe Anzahl von Menschen wie vor der Pandemie) ihre anregungsreiche Umgebung, in der sie überwiegend verbleibt. Wie viele Kinder wie häufig in der Einrichtung sein können, hängt stark von den Gegebenheiten einer jeden Kita und den öffentlichen Vorschriften ab. Wichtig ist, dass alle Kinder in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit haben, mit ihren Freunden zusammenzutreffen, den Bezug zu ihren Betreuer*innen aufrechtzuerhalten, an vielfältig anregenden Impulsen für ihr Spiel und ihrer Entwicklung teilzuhaben.
Das Gesundheits-Monitoring der Zutrittsbarriere wird selbstverständlich beibehalten.

Stufe 3: Bezugsbetreuung – bei Überschreitung der Obergrenze

Wenn die regionalen Neuerkrankungen steigen, muss als Stufe drei auf eine strikte Trennung der Kohorten umgestellt werden. Den Kohorten wird eine Bezugsbetreuung fest zugewiesen, d.h. die Betreuer*innen dürfen nur in einer fest zugeordneten Kohorte arbeiten. Dies bedeutet: Mitarbeiter*innen werden im Krankheitsfalle nicht ersetzt und die Kohorte muss „geschlossen“ werden. Gemeinschafts- und Hygieneflächen werden abwechselnd genutzt und entsprechend der Hygienevorschriften gereinigt.
Diese strikte Orientierung der Kohorten wird wieder aufgegeben, sobald das Ansteckungsrisiko aufgrund der insgesamt geringen Neuerkrankungen im Umfeld sinkt.

Regelbetrieb: jetzt!

Der Deutsche Kitaverband schlägt diesen aufwändigen und auch oft unkomfortablen Weg vor, um wieder allen Kindern Zugang zu frühkindlicher Betreuung, Erziehung und Bildung zu gewähren sowie gleichzeitig alle Beteiligten einem möglichst geringen Gesundheitsrisiko auszusetzen. Der Spagat zwischen kindgerechter Gemeinschaft und epidemiologischer Sicherheit ist auf diese Weise realisierbar und die Arbeit in den Kitas kann entsprechend der Pandemieentwicklung schnell und geplant angepasst werden.
Die Rückkehr zum Kita-Regelbetrieb hat begonnen. Nun benötigen wir noch klare Kriterien und Maßnahmen unter welchen Pandemiebedingungen der Kitabetrieb langfristig und verlässlich umsetzbar ist. Dafür gibt es nun Vorschläge. Die Politik muss im Sinne des Kindeswohls schnell handeln und ihre Entscheidungen – anders als bis jetzt – anhand transparenter Merkmale erklären.