Darüber sprach Volker Schebesta, Staatssekretär im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, am 19. September 2022. Der Deutsche Kitaverband Landesverband Baden-Württemberg und der Verband freier unabhängiger Kindertagesstätten Stuttgart (VFUKS) hatten zu diesem Vortrag mit anschließender Diskussion eingeladen. Rund 50 Interessierte füllten den Tagungsraum in den Design Offices in der Stuttgarter City.
Hier eine Zusammenfassung wichtiger Inhalte:
Stellenwert frühkindlicher Bildung
Die Einführung des Orientierungsplans (Bildungsplan) vor rund zwei Jahrzehnten hat die öffentliche Wahrnehmung der Kindertagesbetreuung verändert. „Es wurde klar: Kitas sind Bildungseinrichtungen“, sagte Schebesta. In den Diskussionen während der Corona-Pandemie sei dieser Auftrag jedoch wieder in den Hintergrund getreten. „Es ging vor allem um Plätze und Öffnungszeiten“, erklärte der Staatssekretär. „Jetzt entwickeln wir den Orientierungsplan weiter. Ich hoffe, dass dies Kitas erneut als Bildungsinstitutionen im öffentlichen Bewusstsein verankert.“
Marko Kaldewey, Landesvorsitzender des Deutschen Kitaverbands in Baden-Württemberg, sagte dazu: „Ich wünsche mir, dass die frühkindliche Bildung auf der Prioritätenliste ganz nach oben geschoben wird. Sie schafft die Grundlage für späteres schulisches Lernen. Daher ist hohe Qualität hier besonders wichtig. In der Medienberichterstattung spiegelt sich diese bedeutende Rolle der Kitas aber leider noch zu wenig.“
Herausforderungen für die Kita-Bildung
Folgende Rahmenbedingungen stellen laut Schebesta Kindertagestätten bei der Erfüllung ihres Auftrags aktuell vor immense Herausforderungen:
- Gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass Erziehungsaufgaben zunehmend den Kindertagesstätten zufallen.
- Es sind zusätzliche Kita-Plätze und besondere Zuwendung für geflüchtete Kinder nötig.
- Die andauernde Pandemie hat steigende Krankenstände zur Folge.
- Durch einen besorgniserregenden Fachkräftemangel können viele Kitas Plätze nicht mehr besetzen oder müssen Öffnungszeiten verkürzen.
Ausbildung: Schulträger finden zu wenig Schüler*innen
„Der Fachkräftemangel ist ein begrenzender Faktor für die Quantität der Betreuung und zunehmend auch für die Bildungsqualität in den Einrichtungen“, stellte der Staatssekretär klar. Das Land reagierte bereits mit einer Verdoppelung der Fachschulplätze für angehende Erzieher*innen seit 2008/2009. Angeboten wird der klassische zunächst rein schulische Ausbildungsgang, die praxisintegrierte Ausbildung (PiA), Teilzeitausbildungsgänge sowie eine PiA für Sozialpädagogische Assistent*innen. „Diese Vielfalt bietet Zugänge für unterschiedliche Zielgruppen. Trotzdem berichten mir Fachschulträger, dass sie ihre Klassen immer öfter nicht mehr füllen können,“ sagte Schebesta.
Neu: Direkteinstieg ermöglichen
Aktuell, berichtet der Staatssekretär, arbeite das Ministerium gemeinsam mit Trägern und der Arbeitsagentur an einem Direkteinsteiger*innenprogramm. „So kann es uns gelingen, Zusatzkräfte, die aus anderen Branchen kommen, zu qualifizieren und längerfristig für die Arbeit im Feld der Kinderbetreuung zu gewinnen.“ Direkteinsteiger*innen absolvieren neben ihrer Arbeit in der Kita eine zweijährige Qualifizierung zur Sozialpädagogischen Assistenz. Bereits nach einem Jahr sind sie anerkannt und werden auf den Mindestpersonalschlüssel angerechnet. Assistenzkräfte mit mittlerem oder höherem Schulabschluss können weiter lernen, eine Schulfremdenprüfung absolvieren und damit den Titel staatlich anerkannte*r Erzieher*in erwerben.
Das Modell ist nicht unumstritten. „Die Praxisbegleitung der Direkteinsteiger*innen liegt bei den Fachkräften in den Einrichtungen“, sagt Schebesta. „Und wir wissen, wie sehr sie bereits durch die schwierigen Rahmenbedingungen belastet sind. Das ist eine Gradwanderung. Denn wir müssen verhindern, dass Fachkräfte Arbeitszeiten reduzieren, nicht mehr aufstocken oder das Feld ganz verlassen.“
In der Diskussion ist anschließend von „Schnellbleiche“ für Direkteinsteiger*innen die Rede. Das lässt Schebesta nicht gelten: „Wer sich anschaut, was die neuen Kräfte leisten und welches Lernpensum sie bewältigen müssen, wird das nicht mehr sagen.“
Akademische Kräfte halten
Bei einem weiteren Thema waren sich Schebesta und das Publikum einig: Viel zu viele studierte Kindheitspädagog*innen seien nicht (mehr) in Kitas tätig. Dort fehle es bislang an Möglichkeiten, den Akademiker*innen attraktive Stellen und eine angemessene Bezahlung zu bieten. „Wir müssen neben dem Kita-Leitungs-Posten Positionen kreieren und beschreibe, die spürbare Unterstützung im Kitaalltag bieten, und die dem Qualifikationsniveau der Kindheitspädagog*innen entsprechen“, erklärte der Staatssekretär.
Personalschlüssel & Härtefallregelung
Im Zuge der Corona-Pandemie hatte das Land eine Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels um 20 Prozent sowie eine Überbelegung in Härtefällen zugelassen. Diese Regelungen wurden bzw. werden nun etwas modifiziert verlängert. Das verursachte einen Aufschrei: „Kretschmann lässt Standards in Kitas absenken“, hieß es in den Medien. Eine solche Berichterstattung sei schädlich für den Ruf der Kita-Betreuung und lasse die Arbeitsplätze dort unattraktiv erscheinen, monierte das Publikum. Schebesta stellte klar, dass bei einer Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels die fehlenden Fachkräfte künftig durch die doppelte Anzahl an Zusatzkräften ausgeglichen werden müssen. Die Ausgestaltung der Härtefallregelung sei noch offen. Der Name besage jedoch bereits, dass sie nur in besonderen Einzelfällen zum Tragen käme.
Wichtig: Betreuung aufrechterhalten
Waltraud Weegmann, Vorsitzende des VFUKS sowie Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands wandte sich gegen eine Gleichsetzung von Personalschlüssel mit pädagogischer Qualität und sagte: „Es ist unsere soziale Verpflichtung, unsere Einrichtungen offen zu halten und einen Betreuungsumfang anzubieten, der eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Wenn wir die Kinder nicht betreuen, können Elternteile nicht arbeiten. Das würde sich verheerend auswirken, denn nicht nur im Kita-Bereich herrscht Fachkräftemangel. Wir müssen die Personalsituation in unseren Kitas ehrlich beschreiben und gemeinsam Ideen entwickeln, wie wir gegensteuern können.“ Ein Diskutant fasste es so zusammen: „Angesichts der Herausforderungen geht es, überspitzt gesagt, darum zu entscheiden, was wir wollen: Beste Qualität für einige oder Betreuung für alle.“